In jedem Jahr gibt der Naturschutzbeirat in Flensburg einen Bericht ab. Der Vorsitzende Naturschutzbeauftragte Dr. Ralph Müller hat den Bericht in der Sitzung des Ausschuss für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung am 17. Januar im Ratssaal mündlich vorgetragen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Ralph Müller, ich bin im Dezember 2021 von den Mitgliedern des Naturschutzbeirats zum Naturschutzbeauftragten der Stadt Flensburg als Nachfolger von Jürgen Massheimer gewählt worden. Bis auf die Zeit meines Studiums habe ich immer in Flensburg gelebt, beruflich war ich Chirurg bzw. Unfallchirurg, unter anderem fast 30 Jahre in der Diako. Ich möchte behaupten, dass ich Flensburg vor allem auch geografisch sehr gut kenne, unter anderem durch unendliche Trainingskilometer für zahlreiche Marathonläufe. Meine Frau und ich sind aktive Gärtner, mit der Natur verbindet mich außerdem die Imkerei, die ich seit 12 Jahren betreibe. Nun bin ich 66 Jahre alt und Rentner.

Im Naturschutzbeirat gibt es acht Mitstreiter*innen, darunter Lehrer*innen, Biolog*innen, Architekt*innen, Jäger*innen, Universitätsmitarbeitende, in der Stiftung Naturschutz Tätige usw. Wir treffen uns vier Mal im Jahr zu Beiratssitzungen mit der Unteren Naturschutzbehörde, ansonsten gibt es zahlreiche Treffen und Begehungen, wo immer sich Menschen um die Natur sorgen.

Unser Ziel ist es, die Umwelt und Natur in Flensburg zu schützen, ihr den Stellenwert zu geben, der ihr gebührt.

Das ist nicht einfach und hängt in hohem Maße vom Agieren der Verwaltung und Ihnen, den Kommunalpolitikern ab. Wir wollen zum Beispiel erreichen, dass derartige Supermärkte, wie sie zuhauf in den letzten Jahren in Flensburg entstanden sind, alle eingeschossig mit häufig völlig überdimensionierten Parkflächen, nicht mehr beschlussfähig sind.

Warum, frage ich mich nach einem Jahr intensiver Beschäftigung mit vielen Akteuren, warum gibt es in Flensburg keinen Naturschutz von oben, also von Verwaltung und Politik. Ein Grund scheint mir offensichtlich: So wie die letzte Generation auf dem Asphalt, kleben viele Politiker und Mitarbeiter der Verwaltung an dem Mantra, dass nur Wachstum das Ziel sein kann, wo heute nun doch jeder um die schweren Nebenwirkungen wie Klimawandel, Artensterben, Meeresverschmutzung usw. weiß, die aus unserer Überflussgesellschaft resultieren und niemals eine Zukunft haben können.

Die wissenschaftlichen Belege, die ein sofortiges Umsteuern fordern, sind überwältigend. Die Natur ist kein Luxus, sie ist für uns alle überlebensnotwendig, sie ist der Ast, auf dem wir sitzen. Und wir gehen weiter schlecht mit ihr um.

Zwei aktuelle Beispiele mögen dies belegen

Zum einen handelt es sich um den Beschluss, den bis zuletzt noch im Besitz der Stadt Flensburg befindlichen Anteil der Ecke Bahnhofstraße/Helenenallee zu verkaufen und für eine Fortsetzung der Blockrandbebauung freizugeben. Auf diesem Grundstück befinden sich neben der Kita Schwedenheim ca. 40 Bäume, die eine Bebauung größtenteils nicht überstehen werden.

Aus mindestens fünf Gründen halten wir den Verkauf des Grundstückes für eine schwere Fehlentscheidung:

1. In Zeiten zunehmender Überhitzung sind derartige baumbestandene Grünflächen kostbarer denn je, insbesondere in städtischen Bereichen mit hoher Versiegelung. Schatten, CO2-Bindung, Grundwasserbildung, Refugium für Insekten und Vögel, ein klassisches Trittsteinbiotop, dass in städteplanerischen Ausführungen als unbedingt erhaltenswert gelten müsste. Der Bebauungsplan ist aus dem Jahre 2009, seitdem hat sich die Klimakrise erheblich verschärft und damit ist die Bedeutung eines solchen innerstädtischen Biotops ohne Frage weiter gestiegen.

2. Der Bebauungsplan ist fehlerhaft, die Bäume sind in ihm schlichtweg nicht existent. Dementsprechend sind auch nicht einmal Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen, so fragwürdig diese im Prinzip auch sein mögen. Die Bäume einfach vergessen? Oder einfach nur die Handschrift des damaligen Planungschefs? Unseriös allemal.
Auffälliger Weise wird auch in den Ausführungen oder bildlichen Darstellungen der IHR-San der Baumbestand weder dargestellt noch problematisiert.

3. Die Kita Schwedenheim, gebaut im schwedischem Sommerhausstil, ist eine Schenkung der schwedischen Kinderhilfsorganisation Räddar Barnen aus dem Jahre 1950, hat also auch eine besondere kulturhistorische Bedeutung, sodass umso mehr zu prüfen wäre, ob ein Kita Neubau unter Erhalt des eigenen Charakters und des Freigeländes möglich ist.

4. Die Einbeziehung der Kita in den Wohnblock ändert deren Charakter für die Kinder ganz erheblich, worauf ja zahlreiche Eltern hingewiesen und mit Recht protestiert haben.

5. Eine erneute Konfliktsituation in der Bahnhofstraße sollte nach den jahrelangen Auseinandersetzungen um den Bahnhofswald unbedingt vermieden werden. Wenn sich die Stadt Flensburg einen Klimapakt auf die Fahnen schreibt und nun in der gleichen Straße erneut ein wichtiges Biotop opfert, sind Kontroversen vorprogrammiert, klug ist das nicht. Fazit: Das Bauvorhaben sollte sich auf die Flächen der ehemaligen Fahrschule Simonsen beschränken.

Das zweite Problem ist die Entscheidung, den Baustoffhandel Jacob Cement an die Nordstraße ins Grenzgebiet Flensburg/Wees zu verschieben, mit der das einzige Naturschutzgebiet Flensburgs, Twedter Feld, weiter umzingelt wird. Das groß angekündigte Bauvorhaben Hafen Ost, das sich allgegenwärtig mit Zukunftskriterien wie Suffizienz und Nachhaltigkeit schmückt, beginnt mit einer großen Umweltsünde. Wieder ausgedehnte Flächenversiegelung, zusätzliche Verkehrsbelastungen und eine Bedrängung des Naturschutzgebietes mit Lärm – und Lichtverschmutzung sind vorgezeichnet, und alles ohne Not, denn natürlich kann Jacob Cement auf dem jetzigen Standort verbleiben. Die formale Denkschiene der Verwaltung, Hafen Ost sei Sanierungsgebiet und es gebe keine Fördergelder, wenn Gewerbebetriebe nicht ausgelagert würden, ist klassisch. Man tut so, als könne man nicht anders und dann muss die Natur eben geopfert werden, außerdem sei das zu bebauende Gebiet, wie so oft bei derartigen Vorhaben, nach Umweltkriterien minderwertig. Ich halte die Gefahr, dass der Gewerbebetrieb auf die grüne Wiese verlegt wird und alles andere aus den verschiedensten Gründen scheitert oder sich ewig hinzieht, ohne dass eine bezahlbare Wohnung oder ein Wohnquartier entsteht, für riesengroß.

Wir brauchen einen Plan B, bei dem der Baustoffhandel Jacob Cement an seinem jetzigen Standort verbleibt.

In diesem Zusammenhang finde ich es im Übrigen befremdlich, dass einerseits immer wieder mit dem Druck, bezahlbaren Wohnraum schaffen zu müssen, argumentiert wird, anderseits es fast unmöglich ist, präzise Antworten auf die Frage zu bekommen, wie viele der Wohnungen sozial gefördert oder als Eigentumswohnungen fertiggestellt wurden und wie hoch der Anteil an Zweit- oder gar Ferienwohnungen ist. Werden also am Ende die Wohnungen gebaut, die gebraucht werden? Die Bereitstellung der noch verbliebenen kostbaren Grünflächen als Geldanlagen für Zweit- oder Ferienwohnungen ist jedenfalls nicht mehr vermittelbar.

Wir geben zu bedenken: Dass es mit der Stadtentwicklung so weiter gehen kann wie in den letzten 20 Jahren, also Entwickeln heißt Bauen und Wachstum, ist eine Illusion. Die Probleme einer zunehmenden Überhitzung, Ressourcen- und Energieknappheit, kompliziertes Wassermanagement sowie Arten- und Baumsterben zwingen zu einer Neuausrichtung. Jedes städtische Bauvorhaben muss in allererster Linie strengen Umweltkriterien standhalten, nur dann ist es zukunftsfähig. Wir müssen lernen, mit Knappheit umzugehen.

Aber auch auf ein erfreuliches und zukunftsfähiges Ereignis des Jahres 2022 können wir zurückblicken – Das Klimabegehren für fossilfreie Stadtwerke 2035 statt 2045, von der Politik nahezu einvernehmlich angenommen und von den Stadtwerken akzeptiert und in einen neuen Zeit- und Fahrplan integriert. Das Besondere ist nicht nur, dass nun realistisch ist, was vorher unmöglich erschien, sondern dass dieser große Hebel, mit dem der CO2-Ausstoß maßgeblich gesenkt werden kann, eben nicht von der Politik oder den Stadtwerken ausgegangen ist, sondern das Werk unverdrossener Klima- und Naturschützer, bestätigt von vielen Bürgern dieser Stadt. Es geht also, und ich bin fest davon überzeugt: gemeinsam mit Bürger*innen und Naturschützer*innen wird es der Politik und Verwaltung wesentlich besser gelingen, diese schöne Stadt zukunftsfähig zu gestalten.

Abschließend möchte ich drei Schwerpunktthemen benennen, die aus unserer Sicht einer besonderen Aufmerksamkeit und Bearbeitung bedürfen:

1. Der Verbesserung der Wasserqualität der Flensburger Förde, insbesondere der Innenförde. Mit dem in der Drucksache 19/3465 des Landtages abgefassten Bericht wird deutlich, dass nur zeitnahe Maßnahmen ein Umkippen der Förde verhindern können. Ein derartiges Ereignis käme, da werden Sie mir zustimmen, für Flensburg nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch einer Katastrophe gleich. Der von der Stadt Flensburg erfreulicherweise verfügte Stopp der Muschelfischerei in der deutschseitigen Innenförde ist ein erster wichtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssen, vor allem die Reduzierung der landwirtschaftlichen Einträge, aber auch die Minderung der Schadstoffeinträge durch den Straßenverkehr, insbesondere bei Starkregen, Monitoring von Sauerstoffarmut und Algenwachstum, Steuerung des Tourismus und der Befahrensregelungen usw.

Dies kann Flensburg nicht allein schaffen, deshalb halten wir eine Unterstützung der Initiative des Umweltministeriums „Nationalpark Ostsee“ für ausgesprochen sinnvoll. Die Naturschutzbeauftragten der Städte und Kreise haben diesbezüglich bereits mit der Staatssekretärin des Umweltministeriums, Frau Katja Günther von den Grünen und auch der Landtagsfraktion der SPD diskutiert. Mit dem SSW, insbesondere dem Bundestagsabgeordneten Herrn Seidler und Landtagsabgeordneten Herrn Dirschauer gab es Gespräche, um auch auf der dänischen Seite ein Moratorium bezüglich der Muschelfischerei zu erreichen. Ein unlängst stattgefundenes dänisch-deutsches Treffen an der Schusterkate zeigt ebenfalls, dass das Problem Förde erkannt ist und hoffentlich bald praktische Schritte folgen.

2. Für ein erträgliches und gesundes Stadtklima bedarf es unbedingt eines wirksamen Schutzes der Kalt- und Frischluftentstehungsgebiete sowie der Luftleitbahnen, also auch kleinerer für die Frischluftentstehung wichtiger Grünfl.chen, wie Stadtparks, die grünen Bahntrassen oder die gärtnerisch genutzten oder mit Gehölzen bestandenen Steilhänge.

In diesem Sinne sollte auch die Fassaden- und Dachbegrünung sowie Installation von PV-Anlagen in Gewerbegebieten massiv verstärkt und bei städtischen Gebäuden zum Standard werden.

3. Die Zukunft erfordert zwingend ein Umgehen mit deutlich knapper werdenden Ressourcen, insbesondere Energie, Baustoffen und Flächen. Es wird darauf ankommen, bereits versiegelte Flächen und Leerstände zu nutzen und wo möglich, im Bestand zu bauen. Hierzu ist eine Bilanzierung mithilfe eines Ver- und Entsiegelungskataster unumgänglich. Wir fordern eine Netto-Null-Versiegelung, d. h. bei Versiegelungen müssen im gleichen Ausmaß Entsiegelungen vorgenommen werden.

Die Entscheidungen der Kommunalpolitike*innen und die Vorgaben der Verwaltung sind für die Gestaltung einer lebenswerten und klimagerechten Stadt von maßgeblicher Bedeutung. Derartige Ziele haben auch in zahlreichen Papieren und Leitlinien Eingang gefunden, nun müssen sie endlich in der Praxis umgesetzt werden, 2023 und nicht 2033.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

Links:
Ratsinfo der Stadt Flensburg, Sitzungsunterlagen des Ausschuss für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung vom 17. Januar 2023:
https://ratsinfo.flensburg.de/tops/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZZ51UTVJOIsaq3VRA4guAQY